Zum Gedenken: das Gänshaufenwasser

Mitten im schönsten Teil der Unteren Lobau liegt das idyllische, für sein klares Wasser bekannte „Gänshaufenwasser“. Oder besser „lag“ das idyllische Gänshaufenwasser, denn der romantische Altarm und sein Nachbar, die ebenso klare Brunnader, sind nur noch in den Erinnerungen der alten Waldläufer und auf seltenen Fotodokumenten existent. 

1969 wurde das Gänshaufenwasser (auch Hechtenwasser genannt) nämlich auf höchste Anordnung zugeschüttet. Der Anlass dafür war der Brunnen “Gänshaufen” des neu errichteten Grundwasserwerks „Untere Lobau“.

Im Jahrbuch der Stadt Wien 1969 findet sich dazu nur ein dürrer Hinweis: „Um die Trinkwasserqualität des Brunnens sicherzustellen, wurde begonnen, das Gänshaufenwasser zuzuschütten und den Damm der Künigltraverse zu erhöhen.“

In “Die Verwaltung der Stadt Wien”, Band 1970, wird im Jahr darauf der Abschluss des Werks verkündet: “Beim Grundwasserwerk Untere Lobau wurde die zur Sicherstellung der Trinkwasserqualität des Horizontalfilterrohrbrunnens “Gänshaufen” notwendige Zuschüttung des Gänshaufenwassers und die Dammerhöhung der Künigeltraverse beendet.”

Gänshaufenwasser 1960er-Jahre (bei Normalwasserstand der Donau)

Der Au-Veteran Norbert Sendor (Jahrgang 1936) erinnert sich an die Jahre davor: „Da war ich mit zwei, drei Freunden dort schnorcheln. Das Wasser war kristallklar wie ein Aquarium, saukalt und voll mit Fischen. Und auf einmal kommt einer von uns daher und sagt total enthusiastisch: „Habt‘s ihr das g‘sehn!? Da schaut‘s aus wie im tiefsten Afrika, eine Reiherkolonie!“ Und da haben wir die Reiherkolonie darüber angeschaut; da waren, ich glaub, 45 Brutpaare drinnen. Da ist ja kein Mensch runtergekommen in diese Gegend.“

Die Reiher sind längst geflüchtet und das Gänshaufenwasser ist Geschichte. Wie konnte ausgerechnet dieser Altarm dem neuen Brunnen so gefährlich werden – wo doch in der Nähe so viele andere Gewässer liegen? Hat man mit dem Zuschütten aus Unkenntnis oder aus übertriebener Vorsicht über das Ziel hinausgeschossen?

Bereits ab 1963 wurden für das geplante Wasserwerk „Untere Lobau“ Bohrversuche unternommen. 1964 begannen die Bauarbeiten. Am 3. Juni 1966 wurde es durch Bundespräsident Franz Jonas offiziell in Betrieb genommen, am 24. März 1969 wurde der Probebetrieb des Brunnens Gänshaufen bewilligt.

Sendor: „Da ist dann irgendwann im Winter so eine Kommission aufgetaucht, hat man mir erzählt, die haben das begutachtet, haben ein paar tote Fische gesehen und haben gesagt: Das Grundwasser wird verseucht, da müssen wir was tun! Und dann haben sie das Gänshaufenwasser mit großen Steinblöcken aufgefüllt und mit Schotter zugedeckt. Bis dahin war das ein funktionierender Altarm, der mit dem Kühwörther Wasser in Verbindung gestanden ist.”

Zugeschüttet, aber noch heute erkennbar (Bild: Geodatenviewer Wien)

Ob es aus heutiger Sicht dafür stichhaltige Gründe gab, liegt einstweilen noch im Dunklen. Der 2015 verstorbene, legendäre Zoologe Hans-Martin Steiner hat schon 1973 in einem Artikel in den „Wiener Naturschutznachrichten“ seinen Ärger losgelassen:

„Zu verurteilen sind einige durchaus vermeidbare brutale Zerstörungen der Aulandschaft, nämlich daß Pumpwerke offenbar nach mangelhaften Voruntersuchungen gebaut wurden, wodurch z.B. ein vorher sehr schönes Gewässer total zugeschüttet und mit einem äußerst häßlichen Steindamm abgeschlossen werden mußte.“

Der “häßliche Steindamm” ist die damals zur selben Zeit massiv erhöhte und betonfest erweiterte “Künigltraverse”, die seitdem das Kühwörtherwasser daran hindert, auch nur einen einzigen Tropfen Wasser in das ehemalige Bett des Gänshaufenwassers zu schicken.

Heute stehen praktisch nur noch der nördlichste Zipfel des Gänshaufenwassers (an der Künigltraverse) und ein jämmerliches Stück der dort abzweigenden Brunnader bei sehr hohem Wasserstand der Donau für wenige kostbare Wochen unter Wasser. Im restlichen Verlauf sind im Normalfall bestenfalls seichte Tümpel zu finden, auf deren Grund sich eine dicke Schicht von Faulschlamm befindet.

Können das Gänshaufenwasser und die Brunnader wiederauferstehen?

Gänshaufenwasser, 26. Dezember 1930

Ja, sie könnten, man müsste nur die damalige Beweislage für die Grundwassergefährdung neu beurteilen und im Falle der Unbedenklichkeit die Steinblöcke ausbaggern und entfernen. Dass solche Maßnahmen möglich sind und sich mit den Nationalparkzielen vertragen, zeigt die Abtragung des künstlichen Blockwurfs am Donauufer gegenüber von Hainburg. Und natürlich müsste das Gebiet zu seiner Rettung endlich mit Wasser gespeist werden.

Allen Maßnahmen zur Wiederbelebung der Lobau steht jedoch das von der Stadt wie ein Heiligtum behandelte Wasserwerk Lobau im Weg.

Der Bau dieses Werks und der damit verbundenen Brunnen war der am meisten zerstörerische Eingriff in die Lobau, seit Hitler Anfang der 194oer-Jahre den Bau des Donau-Oder-Kanals und des Ölhafens anordnete.

Das Wasserwerk Lobau ist für Wien keineswegs unentbehrlich. Neue, riesige Reservespeicher wurden mittlerweile angelegt, zusätzlich zu den beiden Hochquellenleitungen liefert das seit 2006 mit einer mehrstufigen Aufbereitungsanlage versehene Wasserwerk Moosbrunn in das Wiener Leitungsnetz. Die beiden, praktisch brachliegenden Wasserwerke Nussdorf und Donauinsel-Nord, die nur eine Zulassung für außergewöhnliche Notfälle besitzen, werden bis 2030 ebenfalls mit einer Aufbereitungsanlage versehen, die es ihnen erstmals erlauben wird, im Alltagsbetrieb regulär Grundwasser ins Netz einzuspeisen. Spätestens dann verlieren die Brunnen in der Lobau ihre übertriebene Bedeutung.

Bis dahin herrscht ein für die Natur unhaltbarer Zustand: Weil eine diskussionswürdige Modellierungsstudie im Jahr 2015 ergeben hat, jeder in die Untere Lobau zugeleitete Tropfen Wasser würde dort die Brunnen hygienisch gefährden, wird die lebensnotwendige Dotation mit Wasser aus der Donau oder aus der Neuen Donau von der Stadt nach wie vor verhindert.

Zwischen 1938 und 2010 sind in der Lobau 34 Prozent der Augewässer und der zumindest periodisch unter Wasser stehenden Flächen verloren gegangen. Wie lässt sich das anders interpretieren, als dass die Lobau vor unseren Augen trotz Nationalparks langsam stirbt?

Das Original-Unterwasserfoto mit dem Hecht stammt von Peter Appelius und wurde Mitte der 1960er-Jahre im Bereich Gänshaufenwasser/Brunnader geschossen.

Quellen:

  • Pölz, Eva-Maria; Funk, Andrea; Reckendorfer, Walter; Teufl, Bernadette; Hein, Thomas (2014): Welche Rolle können Dotationsmaßnahmen für die Gewässerentwicklung und die hydromorphologische Charakteristik am Beispiel einer urbanen Aue spielen?In: Auenökologischer Workshop, Brambach an der Elbe
  • Brunner, Karl; Schneider, Petra (Herausgeber, 2005): Umwelt Stadt. Geschichte des Natur- und Lebensraumes Wien 
  • Rotter, Doris; Schratt-Ehrendorfer, Luise (1999): Geobotanik und Ökologie der Donaualtwässer bei Wien. In: Stapfia 64, Linz 1999
  • Steiner, Hans Martin (1973, verfasst Mai 1972): Die Lobau: Bedeutung für die Stadt Wien, gegenwärtige Situation, Möglichkeiten einer Rettung. In: Wiener Naturschutznachrichten, 14, 6-21
  • Die Verwaltung der Stadt Wien (1970), S. 129
  • Jahrbuch der Stadt Wien (1969)
  • Amtsblatt der Stadt Wien, Nr. 37, 13. September 1969
  • Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes, Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 15.10.1964, Geschäftszahl 0473/64

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